Krankheiten sind soziale Erwerbsproblematiken

Eineiige Zwillinge sind genetisch identisch. Ihre Ähnlichkeit in Aussehen und Temperament ist oft frappierend – doch sie sind keineswegs eine doppelte Ausgabe derselben Persönlichkeit. Wissenschaftlich gesehen sind eineiige Zwillinge aus derselben Ei- und Spermazelle entstanden und haben deshalb identische Erbanlagen. Zweieiige Zwillinge dagegen teilen nur 50 Prozent der Gensequenzen und sind sich damit nicht ähnlicher als normale Geschwister.
Einige Studien betrachten eineiige Zwillinge, die getrennt aufgewachsen sind. Die berühmteste Langzeituntersuchung dieser Art ist die „Minnesota-Studie“ von der University of Minnesota. Wie sich herausstellte, glichen sich die untersuchten Paare in Körpergröße und Körperbau – wie ein Ei dem anderen. Selbst Falten treten oft an der gleichen Stelle auf. Wenn sie trotz des unterschiedlichen sozialen Umfeldes Ähnlichkeiten aufweisen, deutet das darauf hin, dass in diesem Bereich die Gene einen dominanten Einfluss haben.
Doch weisen die Zwillinge auch individuelle Muster aus, sogenannte epigenetische Veränderungen, beeinflusst durch die Umwelt und durch das soziale Umfeld. Individuelle Eigenschaften, die sich im Laufe des Lebens verändert haben, ohne dass sie in der DNA-Sequenz (dem Genotyp) festgelegt sind.
Haben eineiige Zwillinge noch frappierende Ähnlichkeiten in der körperlichen Ausstattung, weichen Krankheiten und psychische Störungen erheblich ab. Leidet beispielsweise ein eineiiger Zwilling unter Depressionen, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass der andere ebenfalls daran erkrankt, bei rund 50 Prozent; bei Schizophrenie beträgt sie um die 40 Prozent, bei Asthma und Allergien nur noch bei 15 Prozent.
Unsere Krankheiten und psychischen Störungen sind demnach nicht genetische Erbproblematiken, sondern in erster Linie soziale Erwerbsproblematiken.
Unsere genetische Ausstattung gibt uns, wer wir sind, das soziale Umfeld gibt uns, wie wir sind.
Und was wir im Laufe unseres Lebens erworben haben, können wir auch durch eine sorgfältige „Aufarbeitung der sozialen Krankheitsgeschichte“ wieder ausheilen!
Wir sind eben nicht in ein genetisch, unveränderbares Schicksal geboren worden, sondern in ein Leben, dass aus veränderbaren Wahrscheinlichkeiten besteht.

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