So erfolgreich der technische Fortschritt in der Akutmedizin auch sein mag, im Bereich der chronischen Störungen oder Erkrankungen nützt das biomedizinische Vorbild wenig bis gar nichts. Denn chronische Störungen wie Tinnitus oder Hörsturz entstehen in der Beziehungswelt eines Menschen, werden dort aufrechterhalten und können daher auch nur dort angemessen behandelt werden.
Auf den Punkt gebracht: Unsere andauernde, subjektive Bewertung unserer Beziehungen können wohltuend oder eben auch sehr belastend wirken und drücken sich zwangsläufig in unseren verschiedenen Körpersystemen, wie Nervensystem, Hormonsystem, Immunsystem, Verdauungssystem, Herz-Kreislauf-System und viele mehr aus – und alle Körpersysteme können mit ihrer Erregung wiederum belastend auf unsere Bewertung unserer Beziehungen wirken.
Das Ohr hört selbst nichts. Es verwandelt nur Luftbewegungen in kleine elektrische Frequenzmuster, die im ersten Schritt vom autonomen, vegetativen Nervensystem in sagenhaften 120 Millisekunden geprüft werden, ob es sich dabei um als harmonische Klänge oder Gefahrensignale handelt. Die Prüfung erfolgt nach einer einfachen Ampelschaltung, entsprechend einer Verkehrsampel: GRÜN – Alles ist gut! >> GELB – Achtung Gefahr! >> ROT – Geht ja gar nicht, sofort totstellen!
Noch einmal klar und deutlich: Das elektrische Frequenzmuster wird mit einer Ampelphase „markiert“ bzw. „geflaggt“ und innerhalb von 12 Millisekunden an das Zielorgan Gehirn weitergegeben – das Gehirn hat mit der ersten Prüfung nichts zu tun!
Erst im zweiten Schritt, wenn das „markierte Frequenzmuster“ nach 120 Millisekunden ankommt beginnt im Gehirn ein riesiges Erinnerungs-Gewusel. In allen Hirnregionen und Gehirnwindungen wird nach dem Sinn des „markierten Frequenzmuster“ gesucht – und wenn alles gut geht haben wir 570 Millisekunden später die kognitive Erkenntnis. Alles noch innerhalb einer Sekunde, also innerhalb von 0,7 Sekunden.
Ein Beispiel: Wir hören Musik, doch das Ohr erkennt die Luftbewegungen definitiv nicht als Musik! Sie werden innerhalb von 120 Millisekunden in elektrische Frequenzmuster umgewandelt und mit GRÜN markiert. Das Gehirn bekommt jetzt grünmarkierte Frequenzmuster und assoziiert sie mit abgespeicherten Erfahrungen – 570 Millisekunden später steht die kognitive Erkenntnis fest: Meine Lieblingsmusik von der Gruppe …!
Im Gegensatz zu Reptilien haben wir Menschen im Mittelohr zwei ganz besondere Muskeln, die dafür sorgen, dass wir vertraute Stimmen extrem stark wahrnehmen. Diese zwei Muskeln werden ausschließlich zur sozialen Kommunikation benötigt. Sie grenzen Reizüberflutungen aus, um sich auf essentielle, soziale Beziehung konzentrieren zu können, und in deren Folge alle weiteren biochemischen Funktionen wie Blutdruck, Atmung und vieles mehr zu beruhigen. Hört zum Beispiel ein Säugling die vertraute Stimme der Mutter, fühlt es sich wohlbehütet und kann selig einschlafen.
Doch im Alarmzustand GELB achtet zum Beispiel eine Maus ganz genau auf jedes Geräusch. Denn für ihr blitzschnelles Handeln ist es nötig zu ergründen, ob das Geraschel von einem Vogel stammt oder von einer anderen „süßen“ Maus oder von einer „bösen“ streunenden Katze.
Diese Art des Stress-Hörens kann kurzfristig Leben retten, aber auf Dauer ist das Gehirn mit dieser dauerhaften GELB-Phase völlig überfordert. Wenn der Körper in 120 Millisekunden in den Gefahrenbereich „GELB – Achtung!“ wechselt, erschlaffen die zwei sozialen Mittelohrmuskeln. Das ist zum Beispiel der Grund, warum wir in höchster Gefahr GELB-ROT Zusprüche von Sicherheitskräften oder lieben Menschen einfach nicht hören oder zu mindestens nur schemenhaft wahrnehmen!
Wird die Ampelphase GELB zur Dauereinstellung, weil sich zum Beispiel der Lebenspartner als brüllender Alkoholiker entpuppt oder der geliebte Sohn nach 34 Jahren doch tatsächlich aus dem Haus ausziehen möchte, dann erschlaffen die zwei Mittelohrmuskeln – und das Gehirn meldet unklare, bedeutungslose Geräusch-Information zurück wie „Klingeln“ oder „Pfeifen“ – dann haben wir Tinnitus.
Das ist auch der Hintergrund, warum jeder gesunde Mensch, der in einen schallisolierten Raum gesperrt wird, nach ca. 10 Minuten Ohrgeräusche bekommt. Die zwei sozialen Mittelohrmuskeln erschlaffen, und das Gehirn gibt unklare Signale zurück – es fehlt die kognitive Erkenntnis was los sein könnte!
Bekommen wir dann noch Beteuerungen unseres Lebenspartners, dass er kein Alkoholiker ist, sondern nur Genussmensch – also widersprüchliche, chaotische soziale Beteuerungen – wird die Ampelphase tief dunkel GELB
Das Gehirn kann die Ampelphase „GELB, Achtung Gefahr“ und die widersprüchlichen Beteuerungen nicht verarbeiten. In letzter Konsequenz schaltet das Gehirn das Sinnesorgan Ohr ganz ab – und wir haben einen Hörsturz!
Doch jetzt kommen wir erst richtig in einen Teufelskreislauf. Das Abschalten des so wichtigen Hörsinn löst wiederum im autonomen, vegetativen Nervensystem heftige Reaktionen aus – es kommt zu Ängsten oder Panikattacken, die uns wiederum ganz verrückt machen. Und im „verrücktsein“ melden sich auch gleich noch die Verdauungsorgane, und … und … und. Dann wird krampfhaft nach Wunderpillen gesucht, die das Problem „jetzt sofort“ beseitigen sollen. Aber „gegen das Problem ankämpfen“ verstärkt es oft weiter und führt zu noch heftigerem Stress.
Die systemische Beratung
Wer jetzt in der Lage ist, mit Hilfe eines gewieften Gesprächspartner, die äußeren, sozialen Reize , die den Körper auf Abwehr gestellt haben, zu identifizieren und abzuschalten, erlöst den inneren Stress seines vegetativen Nervensystems und die Mittelohrmuskeln werden aus ihrem Krampf erlöst. Nach meinen systemischen Beratungen auf chronische Störungen bekomme ich vielfach folgende Rückmeldungen:
„Jedes Mal, wenn ich an unsere Gespräche zurückdenke, erfasst mich ein wohliges Gefühl in meinen Körper und ein inneres Lächeln macht sich in mir darüber breit, wie Du dich immer wieder, egal was ich Dir gesagt habe, geweigert hast, den Mist, den ich geredet habe, zu akzeptieren. Immer wieder hast Du mich daraufhin gewiesen, das mein Selbstbild, das ich mir konstruiert habe, nicht mit dem übereinstimmte, was Du in mir gesehen hast, ähnlich der französischen Filmkomödie „Ziemlich beste Freunde“!
Arbeitstexte zur Psychoneuroimmunologie & Download