Bis heute streiten sich die Gelehrten über den Auslöser von Magersucht und Bulimie: genetisch bedingter Defekt in der Biochemie des Körpers oder doch eher eine tiefenpsychologische Störung. Weder noch: Psychische Probleme, wie Magersucht oder Bulimie sind nicht Ausdruck ursächlicher Störungen der Psyche, sondern stellen eine Wirkung auf eine ursächliche soziale Umgebung dar.
Viele, die zu mir in ein persönliches Einzeltraining und Beratung kommen, sind davon überzeugt, dass die ihnen unbegreiflichen Probleme mit dem Essen, wie Magersucht oder Bulimie, aus einer psychologischen Dimension kommen. Doch es ist kein Problem der Psyche, sondern ein Problem aus der zwischenmenschlichen Interaktion mit dem eigenen sozialen Umfeld und deren Interpretation durch den Betroffenen.
Unmittelbar nach einem schlimmen Verkehrsunfall erhalten die Beteiligten einen psychologischen Beistand. Niemand ist in diesem Augenblick der Ansicht, dass das Problem in der Psyche wurzelt, obwohl wir in diesem Augenblick Panik und Schock zum Ausdruck bringen. Es ist der Unfall, der eine Wirkung in unserer Psyche hinterlässt.
Psychische Probleme, wie Magersucht oder Bulimie sind also nicht Ausdruck ursächlicher Störungen der Psyche, sondern stellen eine Wirkung auf eine ursächliche soziale Umgebung dar. Ganz genau genommen sind die vielfältigen Ausdrucksformen körperlicher und seelischer Krankheiten sichtbare Niederschläge einer unsichtbaren, zwischenmenschlichen Interaktion zwischen Eltern-Kind, Kind-Schule, Partner-Partner, etc. und deren geistigen Interpretation.
Eine Therapie der Moleküle versucht jedoch mit Medikamenten Probleme im Körper oder in der Seele zu lösen, die dort gar nicht sind, sondern ganz woanders. Wir sind nicht krank, sondern die sozialen Umstände und deren Interpretation sind inkongruent, d. h., eine mangelnde Passgenauigkeit oder fehlgeleitete Regulation (Allostase) führt zu einer negativen Rückkopplung in unserer Psyche und Physis.
Unsere Art und Weise, wie wir mit unserer Umgebung und wie die Umgebung mit uns interagiert, löst uns in körperliche und seelische Ausdrucksformen ein. Eine Auslösung ist möglich, wenn wir uns die Frage stellen: Wie tun wir, was wir tun.
Unsere psychischen Störungen sind ebenso wenig ein Problem der Psyche, wie unser Bewusstsein ein Ausguss neurologischer Prozess ist. Zwar wollen uns die Neurologen mit ihren vielen bunten Bildern aus unserem Gehirn glauben machen, dass Bewusstsein ein Produkt unseres Gehirn ist, wie Urin ein Produkt der Niere. Doch unser Bewusstsein ist eindeutig nicht abhängig von der Menge an Gehirnmasse, sondern von unserer Umgebung, wie wir mit ihr und sie mit uns umgeht.
Die seltenen Spontanheilungen, die wir zu sehen bekommen, haben eins gemeinsam: Sie beruhen alle auf dem Gewinn einer neuen Sichtweise und damit einhergehenden rigiden Veränderung der Lebensumstände. Nur mit der Einsicht einer nachhaltigen Veränderung unserer Lebensumstände und Lebensumgebung können wir uns aus psychischen Krankheitsbildern auslösen.
Die menschliche Evolution ist damit kein mechanistischer-materialistischer Prozess, wie die Schulmedizin es sieht, sondern ein interagierender Prozess. Der Geist ist kein Ding, sondern ein Prozess.
Eine systemisch-soziologische Arbeit konzentriert sich auf die Neugestaltung der erlebten Interaktionen Eltern-Kind, Kind-Schule, Partner-Partner, etc. und beschränkt sich nicht darauf, tiefenpsychologische Ursachen herauszubekommen, die nicht vorhanden sind. Eine Aufarbeitung der sozialen Beziehungsgeschichte zwischen Eltern und dem Kind ist wohl die wichtigste Voraussetzung für einen raschen Heilerfolg.