Persönlichkeit „Allein mit mir“

In George Orwells «Farm der Tiere» reagiert das Pferd Boxer auf alle auftretenden Probleme mit derselben stereotypen Ant­wort: «Ich will und werde noch härter arbeiten!» Anfangs spornt sein gutgemeinter Fleiß alle anderen Tiere an, doch mit der Zeit gehen Boxers unermüdliche Anstrengungen auf subtile Weise nach hinten los. Je härter er arbeitet, desto mehr Arbeit gibt es zu erledigen.

Allein mit mir – Persönlichkeiten sind Idealisten, die von der Sehnsucht nach einer wahrhaftigen, gerechten und moralischen Welt motiviert und angetrieben werden. Sie sind ehrlich und fair und können andere anspornen, an sich zu arbeiten, um zu rei­fen und zu wachsen. Schwer tun sie sich, fremde und vor allem eigene Unvollkommenheiten anzunehmen. Von klein auf ver­suchen sie, Musterkinder zu sein. Schon in sehr jungen Jahren internalisieren sie die Stimme der Mutter, die fordert: «Sei brav! Benimm dich! Gib Ruh!» Oft ist die Mutter eines Allein mit mir-Menschen moralistisch, perfektionistisch oder ewig unzufrieden; mit Lob wird gegeizt, überdurchschnittliche Leis­tungen werden als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Kinder erbrachten diese Leistungen, weil sie die Liebe ihrer Eltern nicht verlieren wollten. Sie lernen die Bedürf­nisse und Erwartungen von Vater und Mutter zu erfüllen, ver­lieren dabei aber den Zugang zu den eigenen Gefühlen und zu ihrem wahren Selbst. Es ist das «Drama des begabten Kindes», um das berühmte Buch von Alice Miller zu zitieren.

Allein mit mir-Persönlichkeiten versuchen gut zu sein, um nicht bestraft zu werden. Sie wollen um jeden Preis verhindern, dass sie vom eigenen «Gewissen» verdammt werden. Im Er­wachsenenalter ist es nicht mehr die reale Mutter, die die Rolle «Gewissen» spielt. Die Forderungen der Mutter sind jetzt internalisiert: Im Inneren von Allein mit mir-Persönlichkeiten wird dauernd Gericht gehalten; sie sind ihr eigener Ankläger, Vertei­diger und Richter.

Dieser Persönlichkeitstyp ist sachlich, sehr kontrolliert und kein ausgesprochener Menschenfreund, weil er gut mit sich al­lein zurechtkommt. Er misstraut anderen, traut vor allem nur sich selbst. Abhängig von anderen zu sein bedeutet für ihn, sich selbst aufzugeben. Er wirkt verschlossen. Die Grenzziehung zu anderen Personen ist ihm wichtig.

In der Liebe kann sich der Allein mit mir-Typ schlecht hinge­ben. Der Satz «Ich liebe dich» kommt ihm kaum über die Lip­pen. Seine Zuneigung zeigt er in praktischen Dingen: Er bringt das Auto für den anderen zum TÜV, räumt auf oder kocht das Lieblingsessen. Menschen dieses Typus legen Wert auf ihre Un­abhängigkeit, sind selbständig und langweilen sich allein nicht. Sie haben einen kritisch-unbestechlichen Blick, sind unsenti­mental, sachlich und verlässlich. Sie sagen: «Ich bin ich. Du bist du!» und wollen nicht von der ganzen Welt geliebt werden. Es sind oft klare und sehr kompetente Persönlichkeiten.

Mehr in meinem Buch „Heilung aus eigener Kraft“

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