Zentralismus contra Selbstorganisation

Im Gehirn sehen wir eine Hierarchie, die vor allem durch Informationsflüsse zustande kommt: Informationsbruchstücke werden kombiniert und weitergereicht, bis eine vollständige, dreidimensionale, multimodale Repräsentation der Umgebung entsteht, anhand der präfrontale Kortex seine Entscheidungen trifft. Das scheint der Funktionsweise eines Großkonzerns, modernen Staates oder der Organisation unserer Lebensumstände zu ähneln – müssen wir diese also als selbstorganisiertes System anerkennen? Oder müssen wir umgekehrt einräumen, dass Selbstorganisation ab einer gewissen Komplexität nicht mehr funktioniert?

Weder noch. Wir müssen vielmehr genauer hinschauen. Das Stirnhirn ist nicht das Weiße Haus; es sitzt kein Diktatorneuron darin. Vielmehr sind im Gehirn immer mehrere Gebiete aktiv, wenn ein Verhalten ausgeübt wird. Aus ihrer Kommunikation entsteht die Entscheidung.
Der präfrontale Kortex ist hier nur primus inter pares – er macht sozusagen auch nur seinen Job. In das, was andere besser können – sehen, hören, riechen, laufen, sprechen, lernen, Hunger, Angst, Begehren hervorrufen -, mischt er sich nicht ein.
Die Neuronen des präfrontalen Kortex bekommen auch nicht mehr Ressourcen als andere, und können anderen nichts zuteilen. Es findet keine Planung interner Vorgänge statt. Das ganze Spiel von Energieversorgung, Homöostase und selbstorganisierenden Nervennetzen läuft lokal und regional ungestört, ganz egal, was die „höheren Zentren“ entscheiden.

Das also könnten wir vom Gehirn lernen: Auch in arbeitsteiligen und hierarchischen Systemen können und sollten lokale Belange lokal entschieden werden. Abstrakt gesprochen: Jedes Element eines Systems hat nur unvollständige Informationen über die Voraussetzungen und möglichen Folgen seines Handelns. Es kann sein Handeln daher nur in Bezug auf seine lokale Umgebung optimieren – das gilt für einen Unternehmenschef ebenso wie für einen Staatschef. Offensichtlich hat aber ein Irrtum eines Neurons beträchtlich weniger schwerwiegende Folgen als der Irrtum eines Unternehmenschefs. Und mehr noch: Die Summe der Informationen, welche alle Elemente zusammengenommen über die Bedingungen ihres Handelns haben, kommt der Vollständigkeit viel näher, als die Informationsflut selbst des besten Geheimdienstes.
Somit wird ein selbstorganisierendes System, das der lokalen Optimierung aller Elemente freien Lauf lässt, stets flexibler und angepasster agieren als ein zentral gesteuertes System.
Siehe hierzu auch systemische Organisationsaufstellung: http://www.simplepower.de/training/organisationsaufstellung.php?=t13

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1 Kommentar

  1. Carpos

    Somit wird ein selbstorganisierendes System, das der lokalen Optimierung aller Elemente freien Lauf lässt, stets flexibler und angepasster agieren als ein zentral gesteuertes System.

    Die so genannten „Autonomen Gruppen“ sind in derartige Systeme eingebunden. Die Gefahr liegt eben in der Flexibilität. Im Grunde genommen agieren diese Gruppierungen eigenständig. Viele sind führungslos – und doch werden sie zu diversen und anderen Aktionen „befehligt“. Für Aussenstehende wirken sie als Gruppe. Meistens auf eine kleine Lokalität beschränkt. Aber um bestimmte Ziele zu verfolgen sind sie schlagartig in der Lage sich zu einem grossen Ganzen zu formieren. Erst dann wird ein Ausmaß erkennbar…

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